Nostalgia 77 Double Feature

he Nostalgia 77 Octet
"Weapons of Jazz Destruction"

Nostalgia 77
"One Offs, Remixes & B-Sides"

beide: Tru Thoughts / Groove Attack

Dass Jazz etwas wundersam riecht, aber noch Lebenszeichen aufweist, ist seit Zappas Tagen eine Binsenweisheit. Und dass Jazz schon immer einen mindestens ebenso gravierenden Realnesskomplex hatte wie HipHop, mussten schon viele Visionäre am eigenen Leib erfahren. Wäre es immer nach den Hardlinern gegangen, müsste Jazz ohne Schnickschnack wie elektrische Pianos oder "On the Corner" auskommen, und HipHop würde möglicherweise immer noch auf Funky-Drummer-Breaks zum Händehochwerfen aufrufen. Ginge sicher auch, wäre aber öde.

Auftritt Benedict Lamdin. Dreitagebärtiger Brite, vielleicht Mitte dreißig, ein Typ, der optisch auch bei Rewe auf der Schanzenstraße nicht weiter auffallen würde. Und gleichzeitig Kopf des Projekts Nostalgia 77, das – zählt man die Live-Inkarnation Nostalgia 77 Octet mit – in den letzten 4 Jahren bereits sieben Alben vorgelegt hat. Wieder eine dieser sehr britischen Musikgeschichten, die trotz aller klanglichen Verwandtschaft bei den letzten aufrechten Jazzgeschmäcklern eher für hochgezogene Augenbrauen sorgen dürfte. Aber was einen nicht umbringt, härtet ihn wenigstens ab, dachte sich Lamdin offenbar, und fuhr schwere Geschütze auf: Ende 2007 erschien mit "Weapons of Jazz Destruction" das neueste Album der Oktett-Formation, ihr mittlerweile viertes. Unaufgeregter, getragener Jazz, erfreulich frei von zwanghaftem Fusion-Gefuchtel, kraftvoll und breit produziert mit sanften, aber bestimmten Bläsersätzen und subtilen, aber immer packenden Grooves – ohne halbstündige Workouts, sondern immer gerade kompakt und strukturiert genug, um nicht beliebig umherzuwandern. Kein Easy Listening, eher verregnet und nebelverhangen, eine Platte, die viel vom Spätherbst der britischen Insel in sich trägt. Das Ganze gipfelt in der behutsamen Neufassung des Ethiojazz-Standards "Musical Silt" und dem herrlich getragenen Neunminüter "If At First", die exemplarisch zeigen, auf was für einem hohen Niveau hier musiziert wird. Eine beachtliche Ensembleleistung unter Lamdins Aufsicht.

"One Offs, Remixes & B-Sides" lässt als Titel wenig Freiraum für Interpretationen, und doch ist diese 24 Tracks deepe Sammlung auf zwei CDs musikalisch stimmiger, als das bunte Sammelsurium vermuten ließe – ein Beweis dafür, wie durchdacht Benedict Lamdins Konzept über die Jahre hinweg ist. Lediglich ein paar Reworks gegen Ende der ersten Hälfte brechen mit der schwer herbstlichen Grundstimmung des Nostalgia-Materials, wie beispielsweise Grant Phabaos rootsiger Offbeat-Remix des ursprünglich viel dramatischeren "Seven Nation Army" mit Alice Russell oder Bonobos arg loungiger Remix von "Quiet Dawn". Im Gegenzug sind die Nostalgia-Mixe von Fremdmaterial wie Bonobos "In Between the Lines" oder Natural Selfs "Solomon" auf CD 1 zwar deutlich beatlastiger als das auf CD 2 kompilierte Jazzmaterial, haben aber durch schräge Breaks, überaus schlau gesetzte Samples und herzerweichend warme Soundästhetik alle diese gewisse Note, die Lamdins Output so konsequent verbindet. Und als sehr faire Geste darf gewertet werden, dass auf CD 2 mit "The Impossible Equation" und einem Alternative Take von "Desert Fairy Princess" auch zwei beeindruckende Nummern aus einer inzwischen recht schwer zu bekommenden 2006er Vinyl-only-Pressung des Octet enthalten sind.

Da hätten wir es also: Eine lebendige Momentaufnahme des Schaffens des Nostalgia 77 Octet auf "Weapons of Jazz Destruction" oder ein umfassender Quereinstieg in den Nostalgia-Mikrokosmos mit "One Offs, Remixes & B-Sides" – choose your poison.

djmq | Freitag, 18. April|   Diskussion (0)