25.10.05
2 Kubikliter Regenwasser darauf...
Die Uhrzeit wird meistens erst dann wichtig wenn es schon zu spät ist. Der Regen am Fenster verrät, dass das Wetter endlich wieder deutsch ist, jetzt müsste es nur noch die eigene Pünktlichkeit gleichtun. Aber als letztes stirbt die Hoffnung man könnte seine eigene Pünktlichkeit, die in meinem Falle eher als international und nicht als besonders deutsch gelten mag, nicht durch eine andere urdeutsche Eigenschaft ausgleichen: Präzision. Beim Blick auf die Uhr wird klar, dass meine Pünktlichkeit sich mittlerweile schon über die Alpen gemacht hat, und nunmehr Italienerin geworden ist. Ich könnte sie aber durch perfektes Timing und minutiöse Bewegungsabläufe wie Kurzstreckensprint und Fassadenklettern wieder einbürgern und mich bei den Vorgesetzten auf ein Akademisches Viertel berufen.
Was aber nützt einem ein Viertel des benötigten Fahrkartenpreises in der Hand und kein anderes Bargeld in Sicht? Nicht viel. Schwarzfahren ist jetzt zu risikoreich, will man doch gerade das Deutschtum pflegen. Also durch den Regen, den Schirm am Vortag am Arbeitsplatz vergessen, zur nächsten Bank. Der HVV mag Kleingeld - die Haspa verteilt nur Scheine. Beides Kapitalistenschweine! Der lachende Dritte ist der Bäcker an der Ecke, der höhnischer Weise sein Sortiment auf Herbstfliegen und die schlechtesten Mandelhörnchen der Welt reduziert hat. Durch den Erwerb eines Hörnchens werde ich zum Kauf eines HVV-Billets ermächtigt. Geld ausgeben für etwas das nicht schmeckt, um Geld ausgeben zu können, für etwas das man gar nicht bezahlen möchte. Erneut die hässliche Fratze des Kapitalismus, mit ihrem schrecklichen Mundgeruch, der irgendwie den Beigeschmack von Marzipan hat.
Jetzt müsste eigentlich das gröbste überstanden sein. Den Verlauf der Bahnfahrt kann man nicht beschleunigen, sondern nur verlangsamen. Wenn man erstmal drin ist, ist man einfach dem Wohlwollen der Gleise ausgeliefert. Bis sich die Türen an der nächsten Station öffnen ist Tempo Schicksal und kein Thema über das man weiter nachdenken braucht. Geistig befreit steht man dann auch den Zeugen Jehovas im Wagon auch viel besser zur Verfügung, als man es zum Beispiel auf dem Fahrrad tun würde. Und so beginnt die freundlich debile Dame mit dem Vortrag: Was man eigentlich braucht, und worüber man nicht nachdenken sondern glauben sollte. Und ich dachte noch über das Tempo nach – ‚ER’ schenkt mir das ewige Leben, da kommt es auf die 15 Minuten Verspätung wirklich nicht an. Wenn ich jetzt noch meine Zeugin mit zu den Vorgesetzten nehmen könnte, dann hätte sogar das Mandelhörnchen geschmeckt. Die Dame war aber dann doch nicht tragbar, weshalb ich trotz ewigen Lebens zu meinem persönlichen Jüngsten Gericht doch verspätet erscheinen sollte.
Warum können christliche Fundamentalisten nicht von den islamischen lernen. Missionieren in der Bahn hat einfach keine Symbolkraft, sondern nervt einfach nur. Warum können die Zeugen Jehovas nicht einfach alle Türen des SAS mit Kaugummi verkleben und ein Bekennerschreiben an die MOPO schicken?
Der Busfahrer muss all diese Fragen und diese Erwartung auf Leid in meinem Gesicht gelesen haben, sonst hätte er sich kaum mit mir solidarisiert und einen 5 minütigen Spontanstreik am Steuer hingelegt. Einen anderen Grund weshalb er nicht los gefahren ist gab es wirklich nicht, hat er doch schon vor dem Streik einen Kinderwagen in der Tür eingeklemmt und eine alte Frau erst zur hinteren Tür geschickt und dann ausgesperrt.
Meine Vorgesetzten hat das alles wenig interessiert, waren sie doch selber noch gar nicht soweit für die Besprechung. Da hätte ich mir echt noch zwei gleiche Socken anziehen können.
Posted by Jazzket

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